Was ist Sünde?

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Fragen Sie den sprichwörtlichen Mann auf der Strasse, was er unter „Sünde“ versteht, bekommen Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Aufzählung von zu vermeidenden Handlungsweisen präsentiert: die sieben (oder mehr) Todsünden. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. In der Bibel, vor allem in den Paulusbriefen, wird Sünde nicht nur im Sinne von konkreten Verstössen beschrieben, sondern als Macht, die uns beherrscht und als Zustand, in dem wir uns befinden.

Unterschied Sünde und Sünden?

Im Alten Testament finden sich eine reiche Vielfalt von Ausdrücken für Sünde. "Päscha" (Auflehnung), "Chet" (Übertretung, Gebotsverstoss) und "Avon" (Vergehen) sind die häufigsten. Auch im neuen Testament wird die Sünde als Ungehorsam begriffen (Röm 5,19). Dieser Ungehorsam richtet sich nicht nur gegen Gottes Recht und Gesetz (1Joh 5,17; 3,4), sondern darüber hinaus gegen Gott selbst. (Röm 5,10).

Nun gibt es vor allem im Neuen Testament eine Unterscheidung zwischen Sünde (Sg.) und Sünden (Pl.). Die Sünde (Sg.) ist ein Zustand. Demgegenüber sind die Sünden (Pl.) die einzelnen Taten des Gottlosen, gottentfremdeten Menschen, aber auch des Gläubigen, wofür er Busse tun muss (1Joh 1,9; 2,1.2). Sünden sind Übertretungen der (10) Gebote Gottes.

Wie stehen nun Sünde und Sünden einander gegenüber? Sündigen wir, weil wir Sünder sind? Oder sind wir Sünder, weil wir sündigen? Nach Röm 5,12 bleibt dies ein unauflösbares Geheimnis. Der deutsche Theologe Edmund Schlink bringt es treffend auf den Punkt, wenn er schreibt: "Jeder Mensch ist Sünder, indem er Sünde tut, und indem er Sünder ist, tut er Sünde."

Sünde als eine Macht

Sowohl Jesus als auch Paulus betrachteten die Sünde als Besatzungsmacht, die uns überwältigt und versklavt. In Johannes 8,34 erklärt Jesus: „Täuscht euch nicht! Jeder, der sündigt, ist ein Sklave der Sünde“. Ähnlich spricht Paulus davon, „dass die Juden genauso wie die anderen Völker in der Gewalt der Sünde sind“ (Römer 3,9) und erinnert die Christen daran, dass sie früher „Sklaven der Sünde“ waren (Römer 6,6). Für die Christen in Rom muss dieses Bild noch viel eindrucksvoller gewesen sein als für uns heute, wussten sie doch genau, was Sklaverei alles mit sich brachte.

> Die Sünde wird also als Sklavenhalter beschrieben, der uns nach seiner Pfeife tanzen lässt. Wir sind seine Gefangenen und können ihm nicht entkommen. Seine harten und grausamen Forderungen bestimmen unser Leben.

> Unsere einzelnen Sünden sind Indizien (Beweise) der Herrschaft der Sünde. Wir werden nicht als sündig bezeichnet, weil wir Sünde begehen. Wir begehen Sünden, weil wir bereits von der Macht der Sünde beherrscht werden. Unsere konkreten Sünden sind einfach die Auswirkungen des Prinzips Sünde, das in uns wirksam ist.

> Das ist ein ausserordentlich wichtiger Punkt der christlichen Lehre. Viele Leute (darunter auch manche Christen) meinen, mit Gott ins Reine zu kommen und im Reinen zu sein bedeute vor allem, sündige Handlungen zu unterlassen.

Sünde als einen Zustand

Wir sind nicht nur von Natur aus Sünder, wir sind auch Sünder aufgrund von Entscheidungen. Sünde beschreibt auch den Zustand, in dem wir uns Gott gegenüber befinden. Im Römerbrief zeichnet Paulus ein Bild der Menschheit, die sich bewusst von Gott abgewandt hat. Wir haben uns selbst zum Mittelpunkt gemacht, das ist eigentlich Götzendienst. Paulus argumentiert etwa folgendermassen (Röm. 1,19ff): Durch die Schöpfung haben wir genug von Gott erkannt, um unsere Abhängigkeit  von ihm anzuerkennen und zu wissen, dass er einen Anspruch auf unser Leben hat. Aber wir (die Menschen) wollen von Gott unabhängig sein. Wir suchen Weisheit und Geborgenheit in der Schöpfung und im rein menschlichen Bereich. Wir leben, als sei Gott unwichtig.

> Wir geben irgendetwas anderem als Gott den zentralen Platz in unserem Leben.

Was bedeutet dies nun für Kinder?

Dazu gibt es nun verschiedene Meinungen:

R. Hudson Pope sagt:

„Was also ist der geistliche Status der Kinder? Es ist entweder (a) ein wiedergeborenes Kind, wirklich zu Gott bekehrt, ein Kind Gottes durch den Glauben an Jesus Christus, ein Kind des Lichts; oder (b) ein unbekehrtes Kind Adams mit einem sündigen Herzen und, je nach Alter und Gelegenheit, auch mit sündigem Handeln....

Es fällt uns schwer, Aussagen zu akzeptieren, dass Kinder „in die Irre laufen“ und  „verloren gehen“,  denn die meisten von ihnen sind doch so liebe kleine Schätze....

Tatsache ist, dass bis die Gnade Gottes ihr wunderbares Werk tut, das Kind ein sündhaftes Herz hat und einen sündhaften Kurs verfolgen wird.“

> Kinder sind seiner Meinung nach also verdammt, bis sie eindeutig und ersichtlich wiedergeboren sind.

John Inchley sagt:

„Wir glauben, dass alle Kinder in das große versöhnende Opfer eingeschlossen sind und zu Jesus Christus gehören, bis sie sich bewusst von ihm abwenden“.

„Wenn Gottes Zeit gekommen ist, dann wird von ihnen (den Kindern) erwartet, dass sie den Anspruch und die Herrschaft Gottes anerkennen und durch die Erleuchtung und den Ruf des Heiligen Geistes und die Geburt von oben das Reich Gottes persönlich annehmen“.

> Er geht davon aus, dass die Kinder von Geburt an Gott gehören.

> Beide glauben an die angeborene Sündhaftigkeit des Menschen und sind von der Notwendigkeit einer neuen Geburt  überzeugt.

▪ Die Frage ist nicht, ob Kinder für ihr Handeln verantwortlich sind oder nicht, sondern wofür und in welchem Masse sie verantwortlich sind. Wir können Kinder nur für Dinge zur Verantwortung ziehen, für die sie gemäss ihrer Entwicklung auch Verantwortung übernehmen können.

Wieweit kann ein Kind Sünde verstehen?

Im Kindesalter definiert das heranwachsende Kind Recht und Unrecht im Sinne von:

(a) Gehorsam gegenüber den Freunden und ihrem Verhaltenskodex

(b) Gehorsam gegenüber den Regeln und Geboten der Erwachsenen.

Sein Sündenverständnis ist vielschichtige, aber es versteht „Sünde“ immer noch ausschließlich im Sinne konkreter Verfehlungen. Es ist für ungehorsame Handlungen verantwortlich, doch ist sein Verständnis durch seine Denkfähigkeit begrenzt, die sich auf das Erfassen und Verarbeiten von Konkretem beschränkt.

Theologisch betrachtet besteht Sünde für das Kind also in einzelnen konkreten Handlungen. Abstrakte Begriffe wie Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit sind für das Kind absolut bedeutungslos, wenn sie nicht durch konkrete Beispiele aus seiner Erfahrungswelt veranschaulicht werden. Einem Kind zu sagen, Sünde sei Übertretung des Gesetzes Gottes, wird ihm nicht viel bedeuten. Wenn wir ihm aber sagen, Sünde sei einem anderen seine Süßigkeiten stehlen oder den Feind auf dem Schulhof verprügeln, dann wird es das verstehen.

Schlussfolgerung:

In Gottes Versöhnungshandeln mögen diejenigen eingeschlossen sein, die noch nicht verstehen können, was es bedeutet, Gott das Herz zu brechen, oder die gar nicht wissen, dass sie das tun. Doch für diejenigen, die es wissen und dennoch willentlich sündigen, gibt es nur die Alternative: entweder Umkehr, Vergebung und Erneuerung – oder am Ende die Verdammnis. Aber bis zu der Zeit, in der ein Kind weiß, was es tut, und Christus bewusst ablehnt, können wir davon ausgehen, dass Gott ihm in seiner Gnade und Gerechtigkeit das Versöhnungshandeln seines Sohnes am Kreuz zurechnet.

>Gottes Liebe, Gnade und Gerechtigkeit verbieten es uns, über Gottes Gericht zu spekulieren, statt uns auf das zu beschränken, was die Bibel klar sagt. Angesichts des vorher Gesagten können wir davon ausgehen, dass Kinder in Gottes Versöhnungshandeln durch Jesus Christus eingeschlossen sind, solange sie sich nicht bewusst von Gott abgewandt haben.

Quellennachweis

Titelbild: 

Clipart mit freundlicher Genehmigung des Verlages buch+musik ejw-service gmbh, Stuttgart  -  www.ejw-buch.de

aus:  Jungscharleiter Grafik-CD plus; Zweite überarbeitete Auflage 2002

© buch+musik ejw-service gmbh, Stuttgart

Inhalt und Literatur:

  • Wie Kinder glauben, Francis Bridger, Oncken Verlag Wuppertal und Kassel, © 1990 Bibellesebund Winterthur
  • Curdin Strasser
  • Edmund Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München 1940, 73.
  • Erich Mauerhofer, Biblische Dogmatik, Band 1, VTR, 2011, 237–271.
  • Horst Georg Pöhlmann, Biblische Dogmatik, Ein Kompendium, Gütersloher Verlagshaus, 2002 (6. Aufl.)

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