Commitments - Nie Werte predigen

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Im heutigen Sport: Vermittlung von hehren Werten möglich, oder Jugendliche ihrem Schicksal überlassen. Eine kritische Betrachtung mit dem Hochschuldozenten Hochschuldozenten für Philosophie und Medientheorie und Publizisten Ludwig Hasler.

Nie Werte predigen

Welche Assoziation löst der Begriff „Commitments“ bei Ihnen aus? Ludwig Hasler: Widersprüchliche. Einerseits braucht der Sport solch normative Übereinkünfte, will er seine alte idealistische Rolle einer „Gegenwelt“ retten: also Gesundheit, Fairplay, Leistungsgerechtigkeit anstatt des „darwinistischen“ Zweikampfes. Anderseits enteilt der reale Sport diesem lieblichen Ideal – irgendwohin zwischen Erotik der Bewegung und primitiver Lust am Stärker Sein, zwischen körperlicher Kunstfertigkeit und der Brutalität des Wettkampfs ...  

Umso anspruchsvoller wird die Arbeit an Grundhaltungen. Wie können Kinder und Jugendliche dafür begeistert werden? Kinder und Jugendliche begeistern sich für vieles, sobald sie merken, dass es in ihrem Interesse liegt. Diese Haltungen und Werte müssen ihnen also einen Nutzen bringen – zumindest ein gutes Gefühl. Am leichtesten ist das im Mannschaftssport zu vermitteln: Fairness, keine groben Fouls, einer für alle – das steigert den Teamgeist. Der wiederum hebt das Selbstwertgefühl jedes einzelnen („ich bin unverzichtbar, anerkannt“). Und mit dem Selbstwertgefühlen wächst der sportliche Erfolg. Es ist sicherlich eine schwere Aufgabe, dieses Interesse zu gewinnen. Am ehesten gelingt es, wenn Werte plausibel als Lebensgewinn und Erfolgsstimulus vermittelt werden. Um Gottes willen nie Werte statt Erfolg predigen!  

Solange Sport nicht Zirkus werden soll, lebt er von Werthaltungen.  

Warum sind gemeinsame Werthaltungen im Sport nötig? Solange Sport nicht Zirkus werden soll, lebt er von solchen Haltungen. Spritzen sich Sprinter mit Anabolika voll, ruinieren sie – nebst ihrer Gesundheit – auch den Sport.  Die Vergleichbarkeit der Leistungen ist das A und O neuzeitlichen Sports. Gewinnt nicht mehr der Beste, sondern der mit der besten Pharmafirma, dann bricht die ganze Basis des Sports ein. Es geht um Sport, nicht ums Brav- oder Nettsein. Wir müssen gar nicht gross von „Ethik“ reden. Die Einsicht in den „Gegenseitigen Egoismus“ genügt: Treibe ich Sport, muss ich Werte wie Drogenverzicht, Fairness, Regeltreue wollen im Sinne der Chancengleichheit.

Commitments sollten von allen gemeinsam bestimmt werden. Welchen Wert haben für Sie Vereinbarungen, die von einer kleinen, interessierten Gruppe für das ganze Team erarbeitet werden? Entscheidend ist, wie sich die Gruppe zusammensetzt. Kommen irgendwelche wohlgemeinten Vorschläge von einem Club der Braven oder Schwächeren, so höhnen die andern bloss. Dann ist klar, dass das Commitment den Zweck hat, die Schwächeren zu schützen. Das geht unter irdischen Bedingungen nie auf.

In meiner früheren Tätigkeit als Redaktionsleiter suchte ich mir stets ein paar „Leithammel“ aus, dazu ein zwei „notorische Querschläger“. Von dieser Gruppe liess ich dann ein Redaktionsstatut ausarbeiten – eine Übereinkunft ohne strikte Rechtsverbindlichkeit, also eine Art commitment. Meist fanden die Vorschläge problemlos Zustimmung. Entscheidend ist also, die so genannten „Störenfriede“ von Anfang an einzubinden.  

Welche Anregungen würden Sie freiwilligen Sportleiter/innen geben, um sich auf die Herausforderung gemeinsamer Vereinbarungen einzustellen? Man übertreibt heute leicht dieses Gemeinsame und Basisdemokratische. Dass Commitments nicht von aussen verordnet werden, bleibt entscheidend. Dennoch wollen Jugendliche einen „Häuptling“. Ein Freund erzählte mir, wie er als Realschullehrer eine Klasse übernahm, die zuvor zwei Lehrer zur Aufgabe zwang. Er bot die Klasse auf den ersten Schultag schriftlich auf: „Velo, Laufschuhe, Badehose mitnehmen. Wir machen einen Triathlon.“ Als es soweit war, begrüsste er jeden einzeln, informierte kurz über den Tagesablauf und ging mit dem Velo voraus. Die frechen Jungen folgten ihm – auch all die folgenden Tage in der Schule. Sie hatten ihren Häuptling gefunden.  

Das Beispiel soll folgendes verdeutlichen: Aus einem führungslosen Haufen entstehen niemals tragfähige Commitments. Zuerst muss der Haufen zur Interessengruppe wachsen – d.h. geführt werden - , erst dann können Jugendliche selbständig werden und gruppendienliche Initiativen entwickeln.  

Gibt es einen „Lernweg“ für das gemeinsame Erarbeiten von Haltungen und Werten? Am besten funktioniert der „Lernweg“ über negative Erfahrungen. Es gibt dies hübsche Bonmot aus den antiautoriären 68er Zeiten: Im Kindergarten begrüssten die Kleinen morgens ihre Kindergärtnerin mit der verzweifelten Frage: „Fräulein, müssen wir heute schon wieder spielen, was wir wollen?“ Der Witz der Frage macht deutlich: Stets selber wählen und entscheiden müssen, ist eine Strapaze, eine Qual, eine Überforderung. Diese Überforderung im Tohuwabohu der Werte und Haltungen muss eine Gruppe erfahren haben – erst dann schätzt sie die Wohltat der Verbindlichkeit.  

Commitments können Regeln, Schulordnungen, Lernverträge usw. ergänzen, nicht aber ersetzen. Wie sehen Sie diese ergänzende Funktion? Beides sind Regeln. Die einen kommen „von oben“ – von Schulleitungen oder Arbeitgebern - Commitments kommen „von unten“. Mit ihnen erleben Jugendliche erstmals das Gefühl, sich selber Regeln zu geben. Sie erleben es als Reiz, selber ein kollektives Verhalten zu erfinden. Sie erfahren es auch gleichzeitig als Last, das Gruppenleben selber zu verantworten.  

Funktional stelle ich mir die Ergänzung zwischen Ordnungen und Commitments wie die „Corporate Identity“ in Betrieben vor. Fussball spielen alle nach den Regeln, die von der FIFA diktiert sind. Die Junioren des FC Herisau aber kommen überein, nie willentlich einen Gegner ins Schienbein zu grätschen. Und dies nicht als edle Verzichtsethik, sondern als profilgebendes Commitment: „Wir haben es nicht nötig, andere spitalreif zu säbeln, wir gewinnen auch so. Wir sind etwas Besonderes!“  

Sollten Vereinbarungen nachhaltig wirken, müssen sie freiwillig eingegangen sein. Was ist aber zu tun, wenn Commitments nicht eingehalten werden? Für solche Fälle braucht man Rituale. Die Gruppe – nicht die Leiterin – muss dem Fehlbaren klar machen, dass er sich mit seinem Verhalten selber aus dem Kollektiv ausgeschlossen hat. Je nach Schwere des Vergehens muss die Gruppe eine Strafe beschliessen (Sperre, Fronarbeit als Wiedergutmachung). Das funktioniert freilich nur, wenn solche Strafen und Strafmasse zuvor festgelegt sind, wenn sie gleichzeitig mit dem Commitment gemeinsam gutgeheissen wurden.  

Quellennachweis:

Inhalt: Jugend+Sport, mobile 1, Dez. 2004, COMMITMENTS

Autor: Raqlph Hunziker 

copyright: www.mobile-sport.ch

Bild: www.juropa.net

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